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Intelligente Hydrogele durch strahleninduzierte Polymerisation mizellarer Monomerlösungen

 

Hydrogele bestehen aus hydrophilen Polymernetzwerken, deren Zwischenräume mit Wasser gefüllt sind. Intelligente Hydrogele erfahren bei Änderung eines externen Parameters einen Phasenübergang von einem hydrophilen zu einem hydrophoben Zustand, der mit der Abgabe des im Netzwerk eingebundenen Wassers einhergeht. Bei Umkehr des Stimulus ist dieser Phasenübergang reversibel. Poly-N-isopropylacrylamid (P-NIPAM)-Hydrogele reagieren zum Beispiel auf Temperaturänderungen, Polyacrylsäure (P-AS)-Gele sind pH-sensitiv. Die Möglichkeit, Hydrogele gezielt zu stimulieren, eröffnet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, beispielsweise als Schalter, Sensoren und Aktuatoren oder zur gezielten Wirkstofffreisetzung. Erhebliche Nachteile vieler bisher existierender intelligenter Hydrogele sind ihre geringe mechanische Festigkeit, eine nur begrenzte und nicht vollständig reversible Quellung und eine nur langsame Antwort auf externe Stimuli. Dadurch sind sie bisher in ihrer Anwendbarkeit noch stark limitiert. Es ist von großem wissenschaftlichen und technischen Interesse, die Eigenschaften der intelligenten Hydrogele zu verbessern.

Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Herstellung von neuen intelligenten Copolymergelen aus N-Isopropylacrylamid (NIPAM) oder Acrylsäure (AS) und polymerisierbaren Tensiden.1,2,3,4 Nanostrukturierte Hydrogele werden durch eine einstufige, strahleninduzierte Copolymerisation von mizellaren Monomerlösungen ausgebildet (Abb. 1). Sie bestehen aus polymerisierten Mizellen, die kovalent über P-NIPAM oder P-AS vernetzt sind.

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Abb. 1: Modell der Herstellung von intelligenten Copolymerhydrogelen durch strahlenchemische Polymerisation wässriger mizellarer Monomerlösungen aus Tensidmonomeren und NIPAM oder AS.

Die Polymermizellen liegen als Vernetzungspunkte in den intelligenten Netzwerken vor und können somit deren mechanische Stabilität erhöhen.3,4,5 Auch bleiben sie beim Phasenübergang der Gele weiterhin hydrophil und ermöglichen dadurch eine schnelle Wasserabgabe aus dem sonst hydrophoben Netzwerk. Der Einfluss der copolymerisierten Mizellen auf die Netzwerkstruktur, die mechanischen Eigenschaften, das Quellverhalten und den temperatur- bzw. pH-induzierten Phasenübergang werden untersucht.

 

Temperatursensitive Gele. Die P-NIPAM-Copolymergele werden mit kationischen und nicht-ionischen Tensidmonomeren hergestellt.1,2,3 Die ionischen Tensidmonomere induzieren einen hohen osmotischen Druck und führen so zu einer starken Quellung unterhalb der Phasenübergangstemperatur der Gele. Oberhalb der Übergangstemperatur zeigen die Copolymergele hingegen eine deutlich erhöhte Wasserabgabe. In Abb. 4.49 sind Fotos eines reinen P-NIPAM-Hydrogels (Abb. 2a) und eines Hydrogels mit 1 Gew.-% eines kationischen Tensidmonomers (Abb. 2b) direkt nach der Herstellung, nach achtstündiger Schrumpfung bei 50 °C, nach nachfolgender achtstündiger Quellung bei 20 °C und anschließendem erneuten Schrumpfungsprozess gezeigt.

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Abb. 2: Reines P-NIPAM-Hydrogel (a) und NIPAM/Tensid-Copolymergel (1 Gew.-% Tensid, 10 Gew.-% NIPAM) (b) nach der Herstellung, nach 8 h Schrumpfen in Milli-Q-Wasser bei 50 °C, nach anschließendem Quellen für 8 h bei 20 °C und erneutem Schrumpfen für 8 h bei 50 °C.

Deutlich ist die geringere Größe des tensidhaltigen Hydrogels nach dem Schrumpfungsvorgang zu erkennen sowie die deutlich stärkere Größenzunahme während des Quellprozesses. Außerdem ist die Größe des Copolymergels nach dem ersten und zweiten Schrumpfungsprozess gleich. Für das P-NIPAM-Hydrogel hingegen fällt ein starker Größenunterschied zwischen dem ersten und zweiten geschrumpften Zustand auf. Durch die Ausbildung einer hydrophoben Außenhaut und der damit verbundenen geringen Gewichtsabnahme während des Schrumpfprozesses wird die in den Quellvorgängen aufgenommene Wassermenge nur zum Teil wieder freigesetzt, das heißt die anfängliche Quellrate des reinen P-NIPAM-Hydrogels wird nach einem Quellungs/Schrumpfungs-Zyklus nicht wieder erreicht.

 

pH-sensitive Gele. Zur Herstellung wird AS mit einem nichtionischen Tensidmonomer, das eine Polyethylenoxidkopfgruppe besitzt, copolymerisiert. Bei niedrigen pH-Werten entstehen trübe Kom-plexe zwischen den Ethylenoxidgruppen des Tensidmonomers und dem P-AS-Netzwerk. Wird später der pH-Wert erhöht, dissoziieren die Komplexe und ein klares, gequollenes Gel entsteht (Abb. 3). Die pH-induzierte Änderung der Lichttransmission ist vollkommen reversibel.

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Abb. 3: Änderung von Volumen und Transmission eines P-AS/Tensid-Copolymergels in Abhängigkeit vom pH-Wert.

 

Funktionelle Hydrogele. Die in den Hydrogelen einpolymerisierten Mizellen ermöglichen es, Moleküle und Ionen im Netzwerk zu immobilisieren und so die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Hydrogele im Hinblick auf eine potenzielle Anwendung zu modifizieren. Bei den von uns hergestellten Copolymergelen aus NIPAM und Tensidmonomeren bestehen hierbei mehrere Möglichkeiten zur Funktionalisierung (Abb. 4). So können hydrophobe Funktionsmoleküle in den Mizellkernen eingelagert werden oder amphiphile Moleküle als Cotenside in die Mizellen eingebaut werden. In Copolymergelen mit kationischen Tensidmonomeren können negativ geladene Funktionsmoleküle in den positiv geladenen Schalen der Mizellen elektrostatisch fixiert werden.

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Abb. 4: Schematische Darstellung der Einbaumöglichkeiten funktioneller Moleküle und Ionen durch die Mizellen.

Vor allem die elektrostatische Adsorption funktioneller Ionen in den Mizellhüllen bietet die Möglichkeit, in den Hydrogelen auf einem schnellen und einfachen Weg neue Eigenschaften zu induzieren. Hierzu wird, wie in Abb. 5 gezeigt, das starke und reversible Quellverhalten der Copolymergele ausgenutzt.6,7

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Abb. 5: Schematische Darstellung der elektrostatischen Adsorption funktioneller Anionen in den NIPAM/Tensid-Copolymergelen.6

Auf diesem Weg konnten beispielsweise fluoreszierende Hydrogele durch elektrostatische Fixierung von 1-Pyrensulfonationen erhalten werden (Abb. 6).6,7

Abb. 6: Chemische Struktur von 1-Pyrensulfonat und Bild des fluoreszierenden Copolymergels mit elektrostatisch adsorbiertem 1-Pyrensulfonat.

Auch eine in-situ Erzeugung von anorganischen Partikeln im Gelnetzwerk ist möglich. In ersten Arbeiten konnten Nanopartikel aus Preußisch Blau (Abb. 7a) sowie Pd0 (Abb. 7b) im Gel erzeugt werden. Hydrogele mit Pd0-Nanopartikeln wurden bereits als Hydrierkatalysatoren verwendet.7 In Abb. 8 ist eine transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme eines Pd0-haltigen Copolymergels gezeigt. Deutlich sind die Palladiumpartikel im Hydrogelnetzwerk zu erkennen.

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Abb. 7: Herstellung von Preußisch Blau-Partikel durch sequenzielle Adsorption von [Fe(CN)6]4 --Ionen und Fe3+-Ionen an den Tensid-Kopfgruppen im Hydrogel (a). In-situ Erzeugung von Pd0-Nano-partikeln im Hydrogelnetzwerk durch elektrostatische Adsorption von Tetrachloropalladat-Anionen und anschließender Reduktion mit Natriumborhydrid (b).

Abb. 8: Kryo-transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme eines NIPAM/Tensid-Copolymergels mit im Netzwerk immobilisierten Pd0-Nanopartikeln (Dr. L. Belkoura, Department Chemie der Universität zu Köln).

 

Literatur

  1. T. Friedrich, B. Tieke, M. Meyer, W. Pyckhout-Hintzen, V. Pipich J. Phys. Chem. B 2010, 114, 5666.
    `Thermoresponsive copolymer hydrogels based on N-isopropylacrylamide and cationic surfactant monomers from micellar solutions and microemulsions in a one-step reaction´

  2. T. Friedrich, B. Tieke Macromol. Symp. 2010, 287, 16.
    `Intelligent hydrogels via gamma-ray induced polymerization of micellar monomer solutions and microemulsions´

  3. T. Friedrich, B. Tieke, F. Stadler, C. Bailly, T. Eckert, W. Richtering Macromolecules 2010, 43, 9964.
    `Thermoresponsive copolymer hydrogels on the basis of N?isopropylacrylamide and a non-ionic surfactant monomer: swelling behaviour, transparency and rheological properties´
     
  4. T. Friedrich, B. Tieke, F. Stadler, C. Bailly Langmuir 2010, DOI: 10.1021/la104585k.
    `Copolymer hydrogels of acrylic acid and a non-ionic surfmer: pH-induced switching of transparency and volume and improved mechanical stability

  5. T. Friedrich, B. Tieke, F. Stadler, C. Bailly Phys. Chem. Chem. Phys. 2010, eingereicht.
    `Improvement of elasticity and strength of poly(N-isopropylacrylamide) hydrogels upon copolymerization with cationic surfmers´

  6. T. Friedrich, B. Tieke Colloid Polym. Sci. 2010, 288, 1479.
    `Luminescent N-isopropylacrylamide-surfmer copolymer hydrogels prepared upon electrostatic self-assembly of 1-pyrenesulfonate´

  7. T. Friedrich, A. Trinker, B. Tieke Macromol. Symp. 2010, 298, 57.
    `Functionalization of hydrogels based on N-isopropylacrylamide and cationic surfactant monomers upon electrostatic self-assembly´